Bücher

Wohin gehen, wenn nichts mehr geht? {Buchtipp}

4. April 2024

Heute stelle ich Euch einen tollen Roman vor, den ich 2020 zum ersten Mal gelesen habe und als eines meiner Bücherhighlights des Jahres gekürt habe. Ich war mir ganz sicher, dass ich ihn – gut abgelegen im Bücherregal – mit Sicherheit ein zweites Mal lesen würde. Here we go!

Ursula Poznanski: “Cryptos”

Nicht jeder von euch hätte Lust darauf, sich fest an das London zu Shakespeares Zeiten zu binden. Aber in der Welt in Ursula Poznanskis Roman “Cryptos” stünden Euch Pässe für die unterschiedlichsten virtuellen Welten zur Verfügung. Da könntet Ihr das schier unendliche Angebot an Zielen täglich ausreizen, denn für jeden ist etwas dabei.
Abenteuerlustige lieben vielleicht “Macandor”, die Fantasywelt mit Dämonen. Die Fans von Jane Austen picknicken dann eher in “Austen” mit Ladies und Lords auf der Blumenwiese. Dinosaurier? Ab nach Cretaceous. Mit griechischen Philosophen diskutieren…? Es findet sich was für jeden Geschmack!

Eine lebensfeindlich gewordene Erde

Mit „Cryptos“ hat die österreichische Autorin Ursula Poznanski mal wieder einen hochspannenden dystopischen Roman geschrieben. Er führt uns in eine Zukunft, in der die Folgen des Klimawandels voll zugeschlagen haben. Die Erde wird heimgesucht durch große Hitze, Dürren, Überflutungen und weitere Naturkatastrophen. Die Natur, wie wir sie kennen, gibt es in der Form nicht mehr.  Obwohl der Planet so unwirtlich und lebensfeindlich geworden ist,  sind die Bevölkerungszahlen weiter in die Höhe geschossen.

Dieser kollabierten Welt haben sich die Menschen in Poznanskis Roman entziehen können, indem sie sich in virtuelle Ersatzrealitäten zurückgezogen haben. So werden auch noch die sensiblen knappen Ressourcen geschont. In noch funktionsfähigen Gebäuden befinden sich klimatisierte Kapseln, in denen sich die Menschen legen können. Während ihre Lebensfunktionen versorgt werden, können sie in ganz verschieden designte Welten abtauchen, die ihnen unbegrenzte Möglichkeiten und  Sicherheit bieten. Aus einer großen Zahl unterschiedlichster Welten kann man sich morgens eine wählen, in die man sich “im Geiste” transferieren lässt, während der eigene Körper wohlbehalten versorgt in einer Kapsel zurückbleibt. In den virtuellen Welten spielt sich dann das “richtige” Leben ab. So wird es der Bevölkerung ermöglicht, ein virtuelles Alltagsleben zu leben, Familie aufzuziehen, durch idyllische Bilderbuchwelten zu wandeln, in vergangenen Zeiten Entdeckungen zu machen, Monster zu jagen oder auch gegen Drachen und Vampire zu kämpfen.

Letzteres ist vollkommen ungefährlich. Denn wenn man in einer der Design-Welten stirbt, wacht man trotzdem wohlbehalten in seiner Kapsel wieder auf. Von da aus kann die Reise in eine andere Welt starten. Eine begrenzte Zeitspanne pro Tag muss man eh einen Zwischenstopp in der realen Welt einlegen. Das empfinden die meisten bereits als störendes Element.

Picknick mit Jane Austen

Spannend sind diese Designwelten allerdings. Sie fühlen sich an, wie eine angenehme Realität, obwohl man durch eine Welt der Fantasie geht. Wer fände es nicht aufregend in Shakespeares London, im ländlichen Jane Austen Idyll, zur Zeit der Dinosaurier zu leben, ungefährdet gegen Unholde  zu kämpfen oder in Ritterrüstung eine Tjost zu reiten? Hand aufs Herz: Wenn man so eine abgesicherte Reise in die Zeit oder Fantasie machen könnte, würden einem doch gleich eine Menge Ideen in den Kopf kommen, oder?

Leute mit einer großen Kreativität, Fantasie und technischer Begabung werden in der Welt des Romans „Cryptos“ bevorzugt als Weltendesigner*in angeworben. Genau so eine Designerin ist die junge Jana Pasco, die in einem Kreativbüro eines Konzerns arbeitet. Sie darf sich beim Designen voll ausleben, Herausforderungen und Aufgaben, kleine Risiken einbauen. Die Welten sollen ja reizvoll, interessant und immer spannend sein. 
Sie hat nicht nur eine Zahl von Welten entworfen, sondern es ist auch ihre Aufgabe, die Bewohner*innen in den von ihr erschaffenen Welten zu überwachen, damit nichts schief läuft.

Als Nutzer*in der virtuellen Welt erwirbt man einen Pass, den man vielfältig erweitern kann, um noch mehr Welten besuchen zu können. Dafür gibt es kleine Aufgaben, um Bonuspunkte zu sammeln.  Allerdings kommt auch die virtuelle Welt nicht ohne Strafwelten aus, die man nicht so einfach verlassen kann.

Traumjob Weltendesigner*in (?)

Unsere Protagonistin Jana arbeitet mit ihren Designkolleg*innen für das Unternehmen „Mastermind“. Durch ihren Job lebt sie dauerhaft in der realen Welt. So erleben wir, dass das kein großes Vergnügen mehr ist.   

Der Favorit unter ihren selbst designten Welten ist für Jana  das friedliche „Kerrybrook“. Was für ein idyllischer ländlicher Ort. Die grünen Hügel werden von Schafen beweidet, die Orte sind geprägt von „hyggeligen“ Häuschen und gemütlichen Pubs. Eine Welt mit Anziehungskraft. 

Es ist ausgerechnet Kerrybrook, wo Jana Unregelmäßigkeiten feststellt. Geschieht hier ein Verbrechen? Gerade als sich Jana daran macht, der Sache auf den Grund zu gehen, gerät die virtuelle Welt ins Wanken. Bislang konnte Jana ungehindert durch die Designwelten reisen, jetzt scheint sie dort gefangen zu sein. Wer hat sich Zugriff ins Weltendesign verschafft? Warum verschwinden Menschen aus dem System? Janas Ermittlungen stellen sich als  unerwartet gefährlich heraus.
Irgendwer schickt ihr mysteriöse Botschaften. Sind das Hinweise oder Drohungen?

Jana gerät in einen Strudel der Ereignisse, die größere Ausmaße annehmen, als sie sich hätte ausmalen können.


Fazit

Mir hat außerordentlich gut gefallen, dass Ursula Poznanski sehr viel Zeit und Raum investiert hat, beiden Szenarien des Romans – die reale Welt und die virtuellen Design-Welten –  zu etablieren. Man kann sich dadurch die schlimme Situation in der realen Welt lebhaft vorstellen. Deshalb flieht man gern mit in die Design-Welten, in deren Entstehung, Ausgestaltung und Regeln man detaillierten Einblick erhält.   Ja, man hat sich schnell schon so eine Auswahl von virtuellen Welten zusammengestellt, die man gern auch besuchen würde. Nur ungern wird man dabei gestört.
Denn gerade als man sich als Leser*in gemütlich eingerichtet hat, steigt ganz allmählich die Spannungskurve. Aus der Perspektive der Weltendesignerin Jana sieht man die Bedrohung und das Krisenmomentum sehr deutlich.       

Mit Jana identifiziert man sich gern, denn sie ist ein sympathischer, engagierter, kluger und auch sehr mutiger Mensch. Allerdings ist ihr angegebenes Alter eher an ein jugendliches Lesepublikum angepasst. Ich würde sie eher in den 20igern verorten. Da ihre Reisen durch die Welten zunehmend bedrohlicher werden, wird von ihr hohe geistige Beweglichkeit abverlangt.   

Die Welten sind perfekt ausgestaltet und aufgebaut. Die Handlung fesselt extrem durch den unvorhersehbaren Verlauf. Dabei ist die Bedrohung zunehmend politisch, dramatisch und nur zu realistisch.

Somit wird auch von Jana gefordert, dass sich ihre eher naive Sicht auf die Welt ändert. Sie muss mit dem Sprung ins kalte Wasser sofort beginnen zu schwimmen.

Gerade die Bedrohung und das System, das dahintersteht, hätte noch eine ausführlichere Schilderung erlaubt. Oder wünsche ich mir nur eine Fortsetzung, weil ich gern noch länger durch die verschiedenen Welten gestreift wäre und mit Jana die Spuren verfolgt hätte? Das möchte ich nicht abstreiten.

Bereits nach dem ersten Lesen des Romans wusste ich sofort, dass ich dieses fesselnde Buch wieder zur Hand nehmen würde.
Als Altersempfehlung würde ich ab 14 Jahren empfehlen, nach oben offen. Bei uns hat das Buch drei Generationen begeistert.

Unbezahlte und unaufgeforderte Werbung. Ich hab das Buch selbst gekauft und bezahlt.

Ursula Poznanski:
Cryptos
Loewe Verlag 2020
(seit 2024 auch als Taschenbuch)



2 Kommentare

  • Reply nina wippsteerts 6. April 2024 at 2:10

    In die verschiedenen Welten würde ich auch gerne reisen 🙂 aber die restlichen Bedingungen? Die Lebensumstände der Realität lassen einen ja wirklich nur noch fliehen! Dass es überhaupt Menschen gibt, die “etwas” arbeiten, nicht nur unreale Welten erbauen und bewachen, auch muss ja die Überbevölkerung versorgt sein, trotz Naturkatastrophen. Lieber würde ich da auch so in den grünen Hügeln abtauchen
    Kein Wunder, dass Du das Buch wiedergelesen hast
    Liebe Grüße
    nina

  • Reply illy 6. April 2024 at 16:03

    Das Buch hab ich tatsächlich auch schon gelesen und fand es gut… Spannende Idee das ganze…
    Liebe Grüße
    illy

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