Bücher

Das harte, arbeitsreiche Frauenleben im Verborgenen {Buchtipp}

12. Juli 2025

Ein zweites Frauenleben, das ich Euch in dieser Woche vorstelle… Dieses Mal bleiben wir in der Gegenwart und schauen in den kargen, hügeligen, englischen Lake District. Vielleicht habt Ihr jetzt ein bisschen “Der Doktor und das liebe Vieh” vor Augen. Aber es wird etwas weniger idyllisch.

Helen Rebanks: Die Frau des Farmers. Mein Leben in einem Tag.

Ups, dachte ich zunächst. Wer definiert sich denn da im Titel als “die Frau von…“ ? Ist das noch zeitgemäß?

Tatsächlich ist so manchem vielleicht der Ehemann der Autorin – James Rebanks – eher ein Begriff. Seine Bücher über das Leben auf einer Farm im nordenglischen Lake District  („Mein Leben als Schäfer“, „Mein englisches Bauernleben: Die Farm meiner Familie und das Verschwinden einer alten Welt“) sind zu Bestsellern geworden. James Rebanks Wurzeln in der bergigen Landschaft sind tief, seine Vorfahren wirtschaften hier seit sechs Jahrhunderten. Braucht es da noch ein Buch seiner Frau?

Blick zurück

Helen Rebanks ist selber auf einer Farm in Lake District aufgewachsen, plant für sich in Kindheit und Jugend aber nie das bäuerliche Leben. Der Teenager Helen empfindet eher Mitleid für ihre abgearbeiteten weiblichen Großfamilienmitglieder, die nichts von der Welt gesehen haben. Obwohl sie nie so werden wollte, heiratet sie später in eine Nachbarfarm ein und findet ganz bewusst in Haushalt und Familie ihren Lebensmittelpunkt.

In ihrem „Memoir“ verwebt Helen Rebanks Vergangenheit und Gegenwart miteinander. Indem sie persönliche Rückerinnerungen in ihre Schilderung eines typischen gegenwärtigen Arbeitstages als Mutter und Landfrau auf einer arbeitsintensiven Farm einbaut, teilt sie mit uns die Tage, die sie geformt haben und immer noch prägen.

Der harte Alltag

Auch wenn die Geschichte mit dem Hahnenschrei am frühen Morgen einsetzt, erwarten uns keine kurzweiligen, lustigen Farm- oder Tiergeschichten. Wir begleiten Helens Tagesablauf vom Aufstehen im Morgengrauen an, in dem sie die Care-Arbeit für die sechsköpfige Familie leistet, und nebenher immer wieder Arbeit vom Hof anfällt, wo sechs Hütehunde, zwei Ponies, 25 Hühner, 50 Galloway Rinder und 500 Schafe leben. Sie muss bei Lämmergeburten assistieren, selbst bei jedem Wetter ein Quad im rauen Gelände fahren, ein nahrhaftes Essen kochen, hoffen, dass der Generator auch bei Schneesturm anspringt, denn die Farm ist nicht ans öffentliche Stromnetz angebunden.

Das Leben in all seiner ungefilterten Fülle strömt uns entgegen mit Entwicklungs- und Familiengeschichten, Studium in Oxford, Geburten, Behördenkram, Bauarbeiten, Rezepten für gutes Essen, Lebensplänen. 

Was kommt auf den Tisch?

Die immer wieder eingefügten reichhaltigen Landrezepte zeigen, dass Helen leidenschaftliche Köchin ist. Sie hat schon als Teenager damit begonnen, selber zu organisieren, Verantwortung zu übernehmen und  für ihre eigene Familie zu kochen. Zwar betrieb ihre Mutter auf der Familienfarm ein Bed&Breakfast, Helen empfand deren Versorgung der eigenen Familie aber eher als nachlässig.
Sehr entschieden steht sie heute für die Verwendung von regionalen und saisonalen Produkten ein. Engagiert vermittelt sie, wie wichtig es ist, die Erzeuger guter regionaler, qualitativ  hochwertiger, gesunder Lebensmittel von regenerativen Farmen zu unterstützen.

Die vielen Rezepte, die das Buch durchziehen, sollen Inspirationen vermitteln, selber Mahlzeiten zuzubereiten. Sie dienen Helen Rebanks aber auch als Anstoß für spezielle Episoden, von denen sie erzählt.

Fehlende Wertschätzung

Die Autorin steht leidenschaftlich hinter dem Farmleben, das sie mit ihrem Mann lebt. Doch im Lauf ihres Lebens hat Helen immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ihr Wunsch Ehefrau, Mutter, und Farmfrau zu sein, abfällige oder negative Reaktionen hervorgerufen hat. So schwingt in dem Buch auch immer wieder der Wunsch mit, das Leben, das sie gewählt hat, zu verteidigen. Die fehlende Wertschätzung dieser Arbeit schmerzt sie am meisten.

Was Helen Rebanks darstellt, ist die harte, anspruchsvolle  Arbeit der Frauen die schon immer die Grundlage der englischen Farmen darstellt. “Die Frau des Farmers” ist eigentlich eine notwendige Ergänzung der meist unsichtbaren Arbeit, die die Frauen auf dem Land bewerkstelligen, damit die Landwirtschaft läuft.

Es gibt viele Wege, ein Leben zu führen, eine Frau zu sein. Ich weiß, dass viele Frauen nicht das wollen, was ich will. Manche sind sicherlich der Ansicht, mein Leben sei nichts Großartiges. Aber es ist so, wie ich es leben will.

S. 336
Alltagsroutinen verdienen Aufmerksamkeit

Man wird daran erinnert, dass Zufriedenheit und Freude eben nicht in den großen  Momenten und Höhepunkten des Lebens liegen, sondern in den einfachen Pflichten und Routinen des Alltags, wenn man ihnen Liebe und Aufmerksamkeit schenkt.

Helen Rebanks Lebensentwurf mag manchen Frauen vielleicht überholt oder provinziell vorkommen. Aber wir sollten akzeptieren, dass die Lebensziele eben unterschiedlich sind und in ihrer Verschiedenartigkeit respektiert werden sollten.
Care-Arbeit gerade von Frauen wird in unserer Gesellschaft zu gering (oder gar nicht) bezahlt, wertgeschätzt und in ihrer enormen Bedeutung unterschätzt.

Ihrem Buch hat die Autorin ein Epigraph vorangestellt. In diesem Zitat aus dem Roman „Middlemarch“ erinnert George Eliot (1819–1880)  daran, dass das „Wohl der Welt zum Teil von unhistorischen Taten“ abhängt, von Menschen, die ein „redliches Leben im Verborgenen“ führen. Das klingt zwar etwas hochgegriffen, verweist jedoch auf die damalige Wertschätzung alltäglicher Arbeit, die heutzutage ziemlich verloren gegangen ist.

Angenehme Lektüre

Da Rebanks einen sehr angenehmen Schreibstil hat, bin ich sehr gern in das Erzählte eingetaucht. Leider geht sie erst im letzten Teil mehr auf die Arbeit auf ihrer Farm und bestimmte Grundlagen der regenerativen Landwirtschaft ein. Davon hätte ich gern mehr gehabt.

Mich haben die eingestreuten Rezepte gelegentlich im Lesefluss gestört. Ich hätte es angenehmer gefunden, wenn sie zu der Rezeptsammlung am Ende des Buches hinzugefügt worden wären.
Die zarten gezeichneten Illustrationen von Eleanor Crow fügten sich atmosphärisch gut ein. Besonders angetan hat es mir das Cover, das mich gleich in diese karge Hügellandschaft versetzt hat.

Fazit

Zurück zu meiner Frage ganz am Anfang: braucht es noch ein Buch der „Frau des Farmers“? Mir gefiel das sehr ehrliche Porträt des ländlichen Lebens, die authentische Gegenüberstellung der harten Arbeit mit dem Glück, Kinder großzuziehen und eine Familie zu führen. Diese Care-Arbeit der Frau ist oft viel zu wenig sichtbar, unterschätzt und abgewertet. Wir müssen wieder mehr Respekt und Wertschätzung gegenüber den Sorge- und Care-Arbeit haben.  Von da her ist es eine wichtige Ergänzung.      

Ich bedanke mit beim Klett-Cotta-Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.
Auf meine Meinung und Rezension des Buches hat dies keinen Einfluss

Helen Rebanks:
Die Frau des Farmers. Mein Leben in einem Tag.
übersetzt v. Nastasja Dresler
Verlag Klett-Cotta, Juli 2025
416 Seiten

1 Kommentar

  • Reply nina wippsteerts 12. Juli 2025 at 9:15

    Ein Buch, dass ich ja auch hier liegen habe und was mir aus genau den gleichen Gründen gefallen hat (obwohl die Schilderung des Alltags nicht so viel Neues für mich brachte, da ich viel Zeit bei meinen Großeltern und damit dem Hof und der Arbeit dort verbracht habe. Auch meine Nachbarsfreundinnen kamen vom Hof. Mitanpacken war selbstverständlich) Aber jede Gegend hat ja noch mal andere Herausforderungen und Umstände. Mitlerweile hat der Hof auch einen Quad, mit dem man schnell über die Felder kommt im Notfall. Als ich das erste Mal im Lake District war, vor sehr vielen Jahren, konnte ich sehen, wie der Schäfer mit Quad und Hunden Schafe zusammen trieb auf dem sehr sehr großen, rauen Gelände.
    Ich hoffe, viele lesen das Buch, was den Menschen im Hintergund zeigt.
    Liebe Grüße
    Nina

  • Hinterlasse einen Kommentar