Lasst Euch vom Titel des Buches, das ich Euch heute vorstelle, nicht abschrecken. Denn wenn von Menschen erzählt wird, die über moralische Ambitionen verfügen, wird es interessant. Es sind jene, die sich von ihren Idealen leiten lassen und wirklich etwas Gutes in der Welt bewegen. Doch auch wir selber können in unseren Leben einen oder mehrere Schritte in diese Richtung machen. Man müsste nur vom Reden ins Handeln kommen. Hier kommt die Anleitung.
Rutger Bregman: Moralische Ambition. Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden, und etwas schafft, das wirklich zählt
Es war bestimmt nicht das Cover dieses Buches, das mich aufmerken ließ. Denn dieses sagte mir absolut nichts. Doch der Name des Autors Rutger Bregman kam mir bekannt vor.
Bregman, der niederländische Historiker, Autor und Aktivist hat bereits mehrere Bücher mit interessanten Zukunftsentwürfen geschrieben wie „Utopien für Realisten“ und „Im Grunde gut“. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2019 hielt er einen aufsehenerregenden Vortrag in dem er u.a. eine „gerechte Besteuerung für Reiche“ forderte.
Sein neuestes Buch „Moralische Ambition“ trägt den aussagekräftigeren Untertitel „Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden, und etwas schafft, das wirklich zählt“. Damit wird deutlich, dass Bregman uns aufruft, endlich aktiv zu werden.
Okay, wer will schon sein Talent vergeuden? Wofür man es einsetzt, sagt Bregman, hängt davon ab, wie idealistisch und ambitioniert man ist.
Ambition und Idealismus
Mittels eines Diagramms mit den Achsen Ambition und Idealismus versucht Bregman die Menschen grob in vier Kategorien einzuteilen: nicht idealistisch und nicht ambitioniert, nicht idealistisch und ambitioniert, idealistisch und nicht ambitioniert und – schließlich – ambitioniert und idealistisch.
Menschen, die zugleich ambitioniert und idealistisch sind, bilden (leider) eine Minderheit. Aber es sind die, die Bregman mit diesem Buch ansprechen, motivieren und inspirieren möchte. Denn diese können und wollen (hoffentlich) ihre Talente so einsetzen, dass sie etwas gestalten, das wirklich zählt für die Menschheit. Nur wie?
Denn es gilt ja dabei auch, Risiken einzugehen, Frustrationen auszuhalten und notfalls Wegbereiter für andere zu sein.
Bregman suggeriert, dass sein Buch vielleicht unbehaglich zu lesen ist vor allem für Leute über 30, die wenig Bereitschaft haben könnten den (mittlerweile bequemen oder eingefahrenen) Kurs ihres Lebens zu verändern. Natürlich richtet er seine Hoffnungen auf die Menschen, die am Anfang ihrer Berufslaufbahn sind, oder bereit sind, das Ruder noch einmal in eine ganz andere Richtung zu lenken, was ja nicht unbedingt eine Altersfrage sein muss, wie es seine späteren Beispiele zeigen.
Was sind das für Menschen, die genügend Ambitionen und Idealismus mitbringen? Sie wollen ihre eigenen Möglichkeiten und Talente ausschöpfen. Das Wohlergehen und die Weiterentwicklung der Menschheit ist ihnen ein Anliegen. Sie können sich vorstellen, ihre Karriere und Begabung einzusetzen, um an den wichtigen Fragen und Herausforderungen unserer Zeit zu arbeiten und die Welt ein Stück zu verändern.
Systemrelevante Jobs und Bullshit Jobs
Welche Menschen Jobs haben, die wirklich wichtig und systemrelevant für die Gesellschaft sind, haben wir ja in den Pandemiezeiten erleben können. Aber so viele Menschen hängen in Jobs fest, die nichts für das Wohlergehen von Mensch und Umwelt beitragen, eher im Gegenteil.
Im Buch werden viele davon als „Bullshit Jobs“ bezeichnet. Somit werden große Fragezeichen gesetzt an das, was in der Gesellschaft als sozialer Aufstieg, Erfolg, Prestige gesehen wird (Beispiel Beratungsjobs, Bankmanager etc.)
Bregman selber ist aktiv geworden und hat die “School For Moral Ambition” gegründet. Diese Bewegung möchte Menschen dazu bringen, ihr Verständnis von Erfolg zu überdenken, ihre Bullshit Jobs an den Nagel zu hängen, und persönlichen Erfolg anders zu sehen.
Wie entstehen Veränderungen sonst noch?
Die Anthropologin Margaret Mead meinte:
„„Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann – tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde.“
Margaret Mead
Die Mehrheit findet sich einfach mit ihrer Mittelmäßigkeit ab. Das mag zwar provokant klingen, entspricht aber leider der Realität. Sie wartet lieber hinter den Gardinen beobachtend ab.
Die meisten Menschen können die Welt eben nicht verändern. Weil sie die Regeln befolgen und tun, was von ihnen erwartet wird. Sie sind vorhersehbar und gehen nie Risiken ein.
Zero, one, two
Wer stößt Veränderungen an? Bregman führt hier ein interessantes Bild der „Zeros“, „Ones“ und „Twos“ ein. Als „Zeros“ bezeichnet er Menschen, die keinen besonderen Ansporn benötigen, sondern mit einer Aktion beginnen. Andere brauchen jemanden, der sie anspricht und um Hilfe fragt, motiviert, dann sind sie sofort dabei (=Ones). Twos folgen dem Vorbild und der Ansprache. Das Wichtige ist derjenige, der in der Lage ist, eine Aktion anzustoßen, aber ohne die anderen geht es eben auch nicht.
Selbst bei Idealisten klaffen große Lücken zwischen Wort und Tat. Wokeness und Awareness sind ja gerade große Schlagwörter. Oft verharren diese Vertreter bei der Suche nach Begriffen und Bewusstsein. Es klafft oft genug eine große Lücke zu einem Aktivwerden an sinnvollen Stellen, so dass es zu Veränderungen kommen könnte.
“Noble Loser“ sind für den Autor jene, die die richtigen Intentionen haben, bei denen aber durch ihre fehlende Aktivität keine Auswirkungen folgen. Ja, diese Erkenntnis kann richtig wehtun, wenn man sich doch zu den „Guten“ zählt.
Die dunkle Seite der Macht
Die Autokratien sind in vielen Ländern stark im Vormarsch. In den USA wurde gerade erst ein Autokrat zum Präsidenten gewählt. Noch immer sterben Millionen Kinder an Krankheiten, die heute schon heilbar sind. Gerade erst haben wir eine Pandemie hinter uns, die nächste, vielleicht viel schlimmere, könnte jederzeit ausbrechen. Milliarden von Nutztieren werden unter furchtbaren Bedingungen gehalten, um geschlachtet zu werden.
Anstatt diese Probleme anzugehen, wird über Gendersternchen diskutiert.
Leider ist es so wie im Herrn der Ringe: es gibt eine helle und eine dunkle Seite der Macht. Es wird Zeit, dass mehr auf der hellen Seite arbeiten.
Die Geschichten der weltverändernden Menschen
Hört sich das alles nach trockener Theorie an? Nein, Bregman verharrt nicht in der Theorie, sondern erzählt die Geschichten vieler Menschen, die den Lauf der Welt zum Besseren verändern konnten. Diese Geschichten fand ich extrem spannend, bewegend und motivierend. Hier ein paar Höhepunkte:
Thomas Clarkson, der sein ganzes Tun dem Ziel verschrieb, die Sklaverei abzuschaffen. Die Geschichte der ersten Abolitionisten und der Aktivitäten der Quäker.
Rosa Parks, ihr Busboykott und die Geschichte dahinter
Ralph Nader “Radical Nerds”. Nader klagte General Motors an, unsichere Autos zu bauen. Er hat so Sicherheitsgesetze in Gang gebracht.
Besonders bewegt hat mich die Geschichte von Rob Mather.
Er organisierte ein 35 km Sponsorenschwimmen, um einen Fund für das Kleinkind Terri, das Opfer eines Brandes war, zu gründen. Selbst motiviert durch seinem Erfolg fuhr er mit dieser Arbeit fort in den folgenden Jahren, um einen Fund zur Malariaprävention aufzubauen. Heute ist dies eine große Hilfsorganisation: Against Malaria Foundation.
Oder der Holländer, der ein ganzes Dorf in Bewegung brachte, um jüdische Landsleute in der Zeit der deutschen Besetzung im 2. Weltkrieg vor der Verfolgung zu retten.
Kurzes Fazit
Es mangelt uns in der Gegenwart und Zukunft nicht an Herausforderungen. Da kann jeder von uns spontan anfangen aufzuführen: Klimawandel, Krieg, künstliche Intelligenz,…
Mir gefällt, wie Bregman es gelingt, seine theoretischen Ideen mit den praktischen Beispielen zu verbinden. Es mag sein, dass er sich vor allem an Menschen richtet, die bestimmte Fähigkeiten und Mittel im Rücken haben und die noch jung, dynamisch und flexibel sind. Aber seine Beispiele zeigen, dass das Leben jedem die Möglichkeit bieten kann, auch im kleinen Rahmen, seine Möglichkeiten und Talente in den Ring zu werfen.
Gerade die Geschichten der ambitionierten und idealistischen Menschen aus ganz verschiedenen Zeiten empfand ich als extrem motivierend und inspirierend. Sie regen an, sein eigenes Tun und Leben auch mal zu hinterfragen.
In unseren Zeiten sind positive Visionen für die Zukunft selten geworden. Auch die demokratischen Parteien scheinen heute kaum davon beflügelt zu werden.
Bregmans Buch liest sich sehr herausfordernd, regt zum Denken und auch zum Tun an.
Ich bedanke mich beim Rowohlt Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.
Auf meine Meinung und Rezension des Buches hat dies keinen Einfluss.
Rutger Bregman:
Moralische Ambition.
Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden, und etwas schafft, das wirklich zählt
Rowohlt Verlag November 2024
336 Seiten
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