Ein spannendes Jugendbuch rund um das mysteriöse Findelkind Kaspar Hauser? Das klingt interessant, fand ich. Denn Leserinnen im Zielalter des Romans von 12-16 Jahren hätte ich zur Hand.
Das Schicksal und die Geschichte Kaspar Hausers haben mich schon immer fasziniert. Leider blieb er in diesem Roman für mein persönliches Gefühl etwas zu blass. Aber wer einen historischen Jugendkrimi sucht, wird hier fündig.
Davide Morosinotto: “Greta Grimaldi und der Junge aus dem Schatten”
Am 26. Mai 1828 wurde in Nürnberg ein völlig verwahrloster, ungefähr 16 Jahre alter Jugendlicher aufgegriffen, der kaum sprechen konnte. In seiner Hand hielt einen Zettel, auf dem sein Name stand: Kaspar Hauser. Seitdem rätseln Wissenschaft und Gesellschaft über Herkunft und Schicksal dieses mysteriösen Findelkindes. Literatur und Kunst machten ihn vielfach zum Thema. Faszination übt seine Geschichte bis heute aus.
Der italienische Autor Davide Morosinotto greift die vielen losen Fäden der historischen Fakten auf und verwebt sie zu einem fiktionalen Kriminalroman für Jugendliche. In „Greta Grimaldi und der Junge aus dem Schatten“ lässt er nur ein Jahr nach Kaspar Hausers Auftauchen – 1829 -, den fiktiven sizilianischen Detektiv und Arzt Dr. Grimaldi mit seiner 15jährigen Tochter Greta nach Nürnberg reisen. Grimaldi ist engagiert worden, um ein angekündigtes Attentat auf Kaspar Hauser zu verhindern.
Sizilianische Nachforschungen
Während die jugendliche Greta sich recht eigenständig in Nürnberg umschaut, setzt sie sich damit über die engen Konventionen, die im 19. Jahrhundert für junge Mädchen galten, selbstbewusst hinweg. Ihr Vater lässt sie dabei gewähren. Ihm ist es eh recht, wenn Greta draußen in der Stadt unauffällig die Augen offen hält und Informationen sammelt. Dr. Grimaldi selber verlässt für seine Nachforschungen nur ungern seine Hotelsuite. Stattdessen tyrannisiert er lieber das Hotelpersonal mit seinem stets unzufriedenen und nörgelnden Wesen.
Der sizilianische Detektiv ist weniger an Kaspars Geschichte interessiert, sondern lenkt sein Augenmerk auf die Verhinderung des angedrohten Attentats auf ihn. So ist er meist mit seinen intensiven Lektürestudien und Gesprächen mit Honoratioren der Stadt beschäftigt.
Greta, die genaue Beobachterin
Greta Grimaldi ist der zentrale Charakter der Geschichte. Sie verfügt über eine sehr gute Ausbildung, spricht fünf Sprachen und gilt als scharfsinnig. Ihre Selbstständigkeit, ihr Selbstbewusstsein und auch ihr manchmal launenhaftes Benehmen treffen gelegentlich hart auf die Konventionen jener Zeiten. Zu ihrem Vater hat sie ein leicht distanziertes Verhältnis, die beiden wirken eher wie ein Team in diesem Fall. Eine Mitschülerin in Palermo hat einst über Greta gesagt: „Du bist wie aus Glas“. Sie meinte damit, dass Greta „keine klare Persönlichkeit“ besäße, sondern sich auf das Beobachten beschränken würde.
Bei ihren Nachforschungen trifft Greta immer wieder auf einen jungen Mann Oskar von Tucher, einem Mitglied einer Adelsfamilie mit Zugang zu Kaspar Hauser. Er macht Greta mit diesem bekannt. Greta wird Kaspar Hauser ein paar Mal eher flüchtig treffen. Durch die Untersuchungen und Gespräche der beiden Grimaldis erhält man beim Lesen einige Informationen über seine recht nebulöse Geschichte, hört so manche Spekulationen, Theorien und Mutmaßungen. Doch das Rätsel über seine Herkunft bleibt – wie auch in der Realität – ungeklärt.

Und Kaspar?
Leider wirkt Kaspar Hauser als Charakter sehr blass, blutleer und nur grob skizziert. Man erfährt eher von außen über ihn, als durch ihn selber. Die beiden tatsächlichen Attentate auf Kaspar Hauser (17.10.1829) und später nach Grimaldis Einsatz (14.12.1833 mit tödlichem Ausgang) werden aufgegriffen und mit einem fiktiven Tathergang dargestellt.
Fazit
Der Jugendroman hält mit dem ansprechenden Cover und den vielen interessanten Illustrationen, die unter Nutzung von Darstellungen aus dem Nürnberger Stadtarchiv entstanden sind, einiges für das Auge bereit.
Die rätselhafte Geschichte um Kaspar Hauser lädt immer noch ein, sie wieder neu aufzugreifen. Der Autor nimmt auch die vielen Fäden historisch korrekt auf, um sie neu zu verknüpfen. So erfahren die jungen Leser*innen auf unterhaltsame Art sehr viel über „das Kind Europas“. Der Schreibstil ist gut verständlich und trotz ein paar Längen gut lesbar.
Fiktiver Krimi rund um Kaspar
Leider kann mich der Autor aber mit seiner Kriminalgeschichte nicht vollkommen überzeugen. Ich hätte mir erhofft, dass er sich traut, der jungen Leserschaft den Menschen Kaspar in irgendeiner Form näher zu bringen. Doch Kaspar bleibt ein rätselhaftes Objekt, das man mit Abstand betrachtet. Eine traurige blasse Skizze und vergebene Chance.
Die einzige mögliche Identifikationsfigur ist Greta, der ich in ihrer etwas unnahbaren Art am Anfang gern eine Chance gegeben habe. Doch ihr Verhalten und ihre wenig nachvollziehbaren Schlüsse zum Fall haben mich zusehends Abstand nehmen lassen. Der konstruierte Kriminalfall und die angebotene Lösung haben mich nicht wirklich überzeugt. Mord, tragischer Justizirrtum und Suizid fand ich eher reißerisch, so dass die Handlung zunehmend in die Abwärtsspirale geriet. Schade, denn der Anfang war eigentlich gar nicht so schlecht.
Ich bedanke mich beim Thienemann-Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.
Auf meine Meinung und Rezension des Buches hat dies keinen Einfluss.
Davide Morosinotto:
Greta Grimaldi und der Junge aus dem Schatten
Übersetzerin: Dr. Cornelia Panzacchi
Thienemann Verlag, September 2025
272 Seiten
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