Ja, manchmal hat die Pandemie sogar gute Seiten gehabt. Ohne sie gäbe es das Buch nicht, das ich Euch heute ans Herz legen möchte. Nichts von dem, was in dem Buch erzählt wird, wäre geschehen. Und für beide Protagonisten wäre das Leben gänzlich anders verlaufen.
Nur vor Nachahmung möchte ich warnen. Besser ist es, sich für den Bestand der freien Feldhasen aktiv einzusetzen. Aber nun los:
Chloe Dalton: „Hase und ich. Die Geschichte einer außergewöhnlichen Begegnung“
Dieses Buch kommt in Deutschland zur perfekten Jahreszeit heraus. Denn es wird auf jeden Fall seine Leserschaft dazu inspirieren, draußen in der Natur die Augen aufzuhalten, um vielleicht einen Hasen beobachten zu können. Und gerade im Frühling sind sie nicht nur in der Dämmerung, sondern mit viel Glück auch einmal tagsüber zu sehen.
Das wunderschöne Cover und die herrlichen Illustrationen von Denise Nestor auf den Umschlagseiten und den Kapitelanfängen versprechen nicht zu viel. Es ist eine magische Geschichte, höchst poetisch erzählt.
Chloe Dalton verfasst hier ein perfektes Memoir, das sich auf einen ganz besonderen Wendepunkt ihres Lebens fokussiert. Mir gefällt auch der deutsche Titel besser als der englische Originaltitel „Raising a Hare“. Denn es steht hier nicht nur ein Hase im Fokus, sondern auch die persönliche Entwicklung der Erzählerin angestoßen durch diese Begegnung.
Ausgebremst
Eigentlich arbeitet die britische Autorin Chloe Dalton als politische Beraterin und gilt als Expertin für Außenpolitik. Zwar befindet sie sich außerhalb des Scheinwerferlichtes, ist jedoch stets in akuten Situationen, unter hohem Zeitdruck international unterwegs.
Doch als die ganze Welt aufgrund der Pandemie runterfährt und dicht macht, wird auch sie ausgebremst. Sie kehrt in das ländliche, idyllische England zurück, wo sie ein altes, kleines Cottage für ihre Zwischenstopps restaurieren gelassen hatte. Hier muss sie sich zunächst auf die reduzierte Geschwindigkeit des Lebens einstellen, was ihr nicht leicht fällt. Anfangs fehlt ihr ihre bewegte, urbane Existenz.

Ein Findelhase
Auf einem ihrer langen, ländlichen Spaziergänge findet sie im freien Feld ein frisch geborenes Feldhasenkind. Im Englischen wird dies als „Leveret“ bezeichnet, im Deutschen als Junghase. Da es gänzlich ohne mütterlichen oder natürlichen Schutz auf dem Pfad liegt, ringt sie sich trotz anfänglicher Bedenken Stunden später dazu durch, es mitzunehmen.
Bereits in diesem Moment entsteht eine Beziehung zwischen Mensch und Tier. In ihren Plänen hat natürlich so ein hilfloses Jungtier überhaupt gar keinen Platz. Dabei bringt sie ja eine Menge Fähigkeiten mit, die nun vonnöten sind: nämlich Krisen zu bewältigen, sehr exakt zu beobachten, analytisch scharf zu denken, Informationen sammeln, auswerten und umsetzen. Denn der telefonisch zurate gezogene Experte macht ihr wenig Hoffnung. So hinreißend die wilden Feldhasen sind, so sind sie doch nie domestiziert worden. Es gibt so gut wie keine Erfahrungen über die Aufzucht.
Fokus auf dem Hasenrhythmus
Ab diesem Moment startet ein sehr zerbrechliches Zusammensein. Der Lebenszyklus des so verletzlichen, heranwachsenden Hasen strukturiert von nun an Daltons Tagesablauf und Leben streng: von den Schlaf- und Fütterungszeiten, Gewohnheiten, Empfindlichkeiten. Der Hase lässt sie zur Ruhe kommen und schenkt dafür seine Nähe.
Zentral ist für Dalton, dass sie dem Hasen Sorge, Platz und Freiheit bieten will, ohne ihn zu vermenschlichen oder zum Haustier zu machen. Er soll später wieder in die Natur entlassen werden können. Dies ist ein Grund, weshalb sie dem Hasen auch keinen Namen gibt.

Die Erfolgsaussichten scheinen gering, die verfügbare Literatur mit den notwendigen Informationen ist mau. Dabei arbeitet die Autorin sehr gründlich und betreibt Literaturstudien vom Alten Testament, Altertum, mittelalterliche Bestiarien, Mythen, Legenden, naturwissenschaftliche Abhandlungen. Während ihrer ständigen Beobachtungen des Tieres merkt sie, dass Vieles, was über diese geheimnisvollen Tiere egal ob im Volksglauben, (englischen) Sprichwörtern, in Geschichten oder auch in der Naturwissenschaft berichtet wird, nicht ihren Erfahrungen bei der Aufzucht entspricht.
Und öfters hilft weniger ein Sachbuch, als z.B. ein Blick auf ein uraltes Gedicht von William Cowper (1731-1800) „Epitaph on a Hare“ das als wertvolle Orientierung dient.
Tatsächlich herrschte früher der Aberglaube, dass Hexen in Hasengestalt ihr Unwesen treiben oder die nachtaktiven Hasen als Handlanger hätten. In früheren Jahrhunderten wäre vielleicht – so mutmaßt Chloe Dalton – ein solcher Verdacht auf sie gefallen, weil sie mit Hasen unter einem Dach lebt.
„In meinen Augen war das Hasenjunge noch viel zu klein, um die Last von so viel Geschichte, Aberglauben und Erwartungshaltung zu tragen, also beschloss ich, es einfach nur Hase sein zu lassen.“
S. 104
So viele berührende Momente teilt die Autorin mit uns, vom Koriander liebenden Hasen, der aufs Bett hüpft und mit den Läufen auf die Kissen klopft und auch irgendwann die Mauer überspringt und in die Felder verschwindet. Der Hase ist als Protagonist nicht zu schlagen, man ist ihm als Leser*in verfallen.
Die Augen geöffnet
Chloe Dalton lernt durch die aufwändige Aufzucht und ihre Studien sehr viel über Hasen, über die Tiere im Allgemeinen und am Ende auch über sich selber. All ihre Beobachtungen und Bemühungen öffnen und verändern ihren Blick auf die Natur. Sie hat einen neuen Zugang zur Natur – und auch zu sich selber gefunden. Sie kommt aus dieser Zeit als anderer Mensch hervor. Ihre Überzeugungen und Prioritäten im Leben haben sich verschoben. Ohne ein Wort gelingt es dem Hasen, ihren Charakter zu verändern.
„Die feuchten Pfotenabdrücke, die sie an regnerischen oder taunassen Morgen auf dem Fußboden hinterlässt, verdunsten innerhalb weniger Minuten. Im Gegensatz dazu ist der emotionale Fußabdruck, den sie bei mir hinterlassen hat, immens.“
S. 288
Zauberhaft ist, wie exakt und detailliert, bildhaft, liebevoll und auch sehr poetisch sie ihr Zusammenleben mit dem Hasen beschreibt. Ihre Darstellungen spiegeln den Respekt vor der Natur und die Liebe zu dem Tier wider und wirken sehr inspirierend. Ihr bildhafter, poetischer und eindrücklicher Sprachstil wurde für mein Empfinden sehr ansprechend ins Deutsche übersetzt.

Die Feldhasen retten!
Als Leser*in kann man viele spannende Informationen mitnehmen. Da man sich beim Lesen gefühlsmäßig sehr mit der Autorin und dem Hasen verbindet, nimmt man das Gelernte mit Anteilnahme auf und ist bereit, seine Ansichten zu überdenken. So wie sich Chloe Daltons Augen öffnen für die Gefahren der Feldhasen in der freien Natur und vor allem in landwirtschaftlich genutzten Räumen, werden sich auch die Leser*innen dessen bewusst. Es ist an der Zeit mögliche Lösungen zu finden, bevor die Feldhasen gänzlich verschwinden. „An der Ernte klebt Blut“ und das ließe sich ändern.
Die Bedrohung ist groß, denn die Sterberate der Junghasen liegt bei 50% in den ersten 28 Tagen. Großbritannien hat 80% seines Bestandes an Hasen durch Jagd und Landwirtschaft im letzten Jahrhundert verloren. In Deutschland sieht es nicht viel anders aus. Die hiesigen Bestände des Feldhasen haben seit den 80er Jahren um 75 Prozent abgenommen.
Ich habe voller Ehrfurcht mit Chloe Daltons Bericht diese magische Zeit mit dem kleinen Hasen miterlebt und blickte dem Ende des Buches voller Sorge um den Hasen (grundlos) entgegen. Dabei habe ich doch gelernt, dass Feldhasen einen Heimatinstinkt haben.
Ich bedanke mit beim Klett-Cotta -Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.
Auf meine Meinung und Rezension des Buches hat dies keinen Einfluss.
Chloe Dalton:
Hase und ich.
Die Geschichte einer außergewöhnlichen Begegnung.
Übersetzt von Claudia Amor
Klett-Cotta Verlag, März 2025
304 Seiten
2 Kommentare
Ganz herzlichen Dank! Dieses Buch werde ich mir kaufen.
Herzlichst
yase
Was für eine überraschende Lektüre! Werd ich mir merken! Ich liebe den Feldhasen, er ist für mich mehr als das Ostersymbol und sein Verschwinden macht mich traurig. Früher hab ich ihn immer gesucht ( und meist gefunden ) bei den Frühjahrsbesuchen in meinem Heimatdorf.
Danke fürs Vorstellen!
GLG
Astrid