(Werbung: Danke an den List Verlag, der mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte. Meine eigene Meinung zum besprochenen Buch behalte ich mir vor.)
Bestimmt kennt Ihr das Gefühl auch, dass Ihr ein Buch aus der Hand legt, mit dem Wunsch an dem Thema dranbleiben zu wollen . Ich hatte zwar ein paar andere Erwartungen an diesen Roman. Die hat er nicht in allen Belangen erfüllt, aber er hat mir einen interessanten Ansatz zum Weiterlesen geschenkt. Und das gelingt nicht allen Büchern.
Defne Suman: “Tochter einer leuchtenden Stadt”
Sagt Euch der Name „Smyrna“ etwas? Oder Izmir?
Ende einer kosmopolitischen Stadt
Im Osmanischen Reich war die Smyrna, die schöne Hafenstadt an der Ägäis das wichtigste Zentrum und bedeutendster Handelsplatz in Kleinasien. Seine Bevölkerung bestand aus Griechen, Armeniern, andere Christen europäischer Herkunft, Türken und Juden. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen wohnten jeweils in eigenen Stadtvierteln. Doch das friedliche Zusammenleben fand ein Ende.
Nach dem ersten Weltkrieg zerfiel das große osmanische Reich, was die Siegermächte im Vertrag von Sèvres besiegelten. Griechenland versuchte weitere Teile von Kleinasien zu erobern, bis sie der Gegenoffensive der türkischen Armee unter Mustafa Kemal weichen mussten. Schließlich zog sich die griechische Armee bei Smyrna an der Küste der Ägäis zurück und verließ 1922 auf Kriegsschiffen das Land Richtung Griechenland. Doch was geschah mit Smyrna und seiner Bevölkerung?
Spannender geschichtlicher Hintergrund
Smyrna, die Perle der Ägais, heute bekannt als türkische Stadt Izmir, steht im Zentrum des Romans „Tochter einer leuchtenden Stadt“ von Defne Suman. Da ich historische Romane mag, hörte sich das für mich sehr interessant an. Zumal sich die Handlung um das bedeutungsvollste und schlimmste Kapitel dieser alten Stadt rankt. Gerade diese Erinnerungen des türkischen wie auch des griechischen Volkes aus diesen Jahren prägen bis heute die Erinnerungskultur beider Völker und NATO-Staaten und ihr gegenseitiges Verhältnis.
Man merkt aber gleich, dass das Buch genau die Kenntnis dieser geschichtlichen Hintergründe voraussetzt. Die Autorin Defne Suman wurde in Istanbul geboren und lebt heute in Athen. Das Buch wurde aus dem Türkischen übersetzt. Türkischer und griechischer Leserschaft ist die Geschichte ihres jeweiligen Landes natürlich geläufig. Da hätte ich mir doch für die deutsche Ausgabe eine etwas ausführlichere Einführung in die Geschichte, als die wenigen Zeilen gewünscht. So musste ich erst einmal selber recherchieren.
Bis zum entscheidenden Jahr 1922 war Smyrna eine bunte multikulturelle Stadt von deren 700.000 Einwohnern fast die Hälfte der griechisch-orthodoxen Kirche angehörte, die somit als Griechen galten.
Im September 1922 blieben ca.100.000 griechische Flüchtlinge sowie die Bevölkerung Smyrnas verzweifelt und schutzlos zurück. Von Seiten der türkischen Bevölkerung und des türkischen Militärs wurden zunächst Plünderungen und Feuer im armenischen Viertel entfacht. Bald brannte die ganze Stadt. Tausende Menschen kamen zu Tode. Gleichzeitig bedeutete dieser Brand in Smyrna das Ende des Griechentums in Kleinasien. Vertreibung und Zwangsmigration von großen griechischen und türkischen Bevölkerungsgruppen folgten.
Bewegendes Frauenschicksal
Die Romanhandlung setzt bereits 1905 mit der heimlichen Geburt eines kleinen Mädchens Panayota in Smyrna ein, dessen Schicksal mit der seiner Heimatstadt und seinen verschiedenen Kulturen eng verbunden sein sollte. Ihre bewegte und teilweise recht abenteuerliche Biographie verknüpft die Schicksale von mehreren Frauen quer durch die Gesellschaftsschichten und Ethnien Smyrnas.
So lernen wir viel über Lebensweise, Traditionen und Gesellschaft dieser Stadt kennen. Gleichzeitig spielen natürlich auch Familiengeschichte und Liebesverwicklungen eine Rolle. Die Frauencharaktere des Romans sind in ihrer Verschiedenheit durchweg sehr eindrucksvolle starke Frauen, die mal eigensinnig, mal selbstbewusst versuchen ihren Weg zu finden und zu gehen.
Ein großer Teil der Geschichte wird aus der personalen Perspektive erzählt. Daneben berichtet noch rückblickend aus der Ich-Perspektive eine alte stimmlosen Frau, der man den Namen Scheherezade gab.
Verschiedene Erzählstränge werden verwoben bis der Teppich der Geschichte ein Bild ergibt. So werden die Stadt und ihr alltägliches Leben mit der bunten quirligen Bevölkerung sehr atmosphärisch erlebbar dargestellt. Doch wer die Historie kennt, weiß, in was für eine Katastrophe die Geschichte münden wird – in Brand und Vernichtung.
Fazit
Was hat mir gefallen?
Man erlebt durch die Erzählweise die Geschehnisse jener Zeit aus dem Blickwinkel ganz unterschiedlicher Bewohner der Stadt (verschiedene Ethnie, Gesellschaftsschicht u.a.). Das ist sehr spannend.
Immer wieder werden griechische und türkische Redewendungen, die im Anhang erklärt werden, in die Erzählung eingestreut. Mir sagte das zu, weil es ein bisschen auch die damalige Vielsprachigkeit der Stadt nachspüren lässt.
Was hat mir weniger zugesagt?
Ich hatte anfangs Schwierigkeiten, mich in die Handlung einzufinden. Durch die Distanz in der Erzählweise wurde ich nicht vom Geschehen berührt.
Zudem macht die Vielzahl der wechselnden Erzählstränge eine Konzentration bei Lesen notwendig.
Die Kombination aus verschlungenen Erzählsträngen, einer großen Anzahl verschiedener neuer Personen und dann – und das für mich das anstrengendste – die wechselnden Zeitebenen, die nur schwer einzuordnen sind, empfand ich als sehr wenig motivierend. So entging mir bestimmt so mancher geschichtliche Hinweis, der in Gesprächen zwischen den Charakteren verborgen war.
Da hätten vielleicht Kapitelüberschriften oder deutlichere zeitliche Angaben geholfen, damit man die Geschehnisse zeitlich korrekt einordnen kann. Gelegentlich war ich der vielen Vorgriffe und Hinweise auf kommende Geschehnisse etwas übersättigt. Dafür fehlten mir weitere Verweise auf den konkreten historischen Background.
Immerhin ließ der Roman für mich die Stadt Smyrna wieder lebendig werden und schenkte den Anstoß, auf eigene Faust recherchierend mehr in die Tiefe zu gehen.
Wer Lust auf einen bewegenden historischen Frauenroman hat, wird aber auf jeden Fall hier fündig.
danke für die Rezension, klingt wirklich interessant!
Das Buch hat mich sofort an ein ähnliches über die Geschichte der letzten ca. 100 Jahre von Saloniki erinnert: Victoria Hislop, eine Geschichte von Liebe und Feuer. Auch hier geht es um eine ehemals funktionierende multikulturelle Stadt von Griechen, Türken und Juden und wie das alles mutwillig zerstört wurde. Viele Griechen mussten zB. aus Smyrna hierher flüchten, die Türken wurden aus Saloniki vertrieben und was mit den Juden passierte, ist leider eh klar. Das “Feuer” im Titel bezieht sich auf einen Großbrand, wo große Teile von Saloniki zerstört wurden. Ein sehr interessanter, berührender und gut lesbarer Roman.
lg
Hallo Andrea,
ich finde Deine Buchvorstellungen immer toll, es sind Bücher dabei, die ich wahrscheinlich nie in die Hand genommen hätte. Aber wenn Du sie dann vorstellst finde ich sie meist sehr spannend. Auch das hier scheint ein Buch zu sein, bei dem man noch viel über die Geschichte der Türkei und der Griechen lernen kann, nicht so schön ist, dass es Dich nicht so berührt hat.
Liebe Grüße und einen guten Start in Ein Osterwochenende mit hoffentlich vielen Sonnenstrahlen und etwas Frühlingsduft-
Liebe Grüße
Manu
Alleine wegen des Covers habe ich das Buch schon Mal in der Hand gehabt, ich weiß, so sollte man nicht seine Titel aussuchen 😊
Beim Reinlesen war aber irgendwie der Funke nicht übergesprungen.
Ich schließe mich an, Du hast immer besondere Buchvorstellungen
Danke Dir und liebe Grüße
Nina