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Ein faszinierender neuer Blick auf Medea {Buchtipp}

1. Dezember 2025

 Ganz eindeutig: das ist mein Lieblingsbuch des Monats November! Es entführt uns in ein antikes Königreich: Kolchis. Ich musst auch erst mal nachschauen, wo ich dieses Reich aus der griechischen Mythologie verorten muss: und zwar zwischen dem Kaukasus und der Ostküste des Schwarzen Meeres im Westen des heutigen Georgiens.
Medea – eine tragische Figur der griechischen Sagenwelt: falls ihr ein inneres Bild von ihr habt, hier wird es modernisiert und vielschichtig erzählt. Aber lest selbst:

Rosie Hewlett: “Medea. Die Hexe von Kolchis”

Die griechische Mythologie übt schon immer eine Faszination auf mich aus. Daher war ich sehr neugierig auf diesen Roman. Wird er mit einem meiner Lieblingsromane Madeline Millers „Circe“ mithalten können? Kann die Autorin vermitteln, wieviel Spannendes die griechische Mythologie uns auch heute noch erzählen kann?  Kleiner Spoiler: Ja!

Der Mythos um Medea und um die Argonauten wurde von der Antike bis in die Gegenwart immer wieder literarisch verwertet. Trotzdem hatte ich von Medea und Jason bislang nur ein grob skizziertes Bild mit den üblichen Schlagworten: Medea – die Hexe, Jason – der Held der Argonauten. Damit räumt die Autorin Rosie Hewlett hier auf und haucht den antiken Figuren mit Magie, Liebe, Rache und einem sehr weiblichen Blick Leben ein.

Medea – der Mythos

Medea wurde als eine Prinzessin von Kolchis geboren. Die Göttin Hekate hat sie mit derselben speziellen Gabe beschenkt (eigentlich eher verflucht) wie Medeas Tante Circe – der Magie. Medeas Vater verabscheut die Magie, bis er erkennt, dass sie als machtvolle Waffe zu benutzen ist. Diese magische Kraft wird Medea anziehend für machtgierige Männer machen, die übrigen Menschen aber abstoßen.

Als Kolchis zum Hüter des goldenen Vlieses wird, das seinen Besitzer unbesiegbar machen soll, wird es Ziel griechischer Helden, die diesen Schatz erringen wollen. Unter ihnen sind auch Jason und seine Argonauten. Das Zusammentreffen mit ihnen wird Medeas Leben für immer verändern.

Durch Medeas Augen

Die Autorin lässt uns das packende Geschehen aus Medeas Perspektive erleben. So lernt man Medea in ihrem ganzen vielschichtigen, facettenreichen Wesen kennen. Man nimmt Teil an ihren inneren und äußeren Kämpfen, man fühlt ihre Ängste, ihre Wut, ihre Ungerechtigkeit und auch ihre Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein. Von ihrer traumatischen Kindheit und Entdeckung ihrer magischen Fähigkeiten, bis zu ihrer Liebesgeschichte mit Jason und darüber hinaus, folgen wir Medeas Spuren. Man bekommt ein tiefes Verständnis für Medea, warum sie so handelt und meint, es wäre ihre einzige Wahl.

Statue der Medea mit dem goldenen Vlies in Batumi/Georgien
Spannende Charaktere

Auch die wichtigen weiblichen Nebencharaktere bleiben im Gedächtnis hängen. Medeas Tante Circe belehrt ihre Nichte über die Macht der Magie und ihren positiven Gebrauch. Doch Medea spürt schon als Kind die rastlose dunkle Seite der Magie in sich, von der sich Circe nie verleiten ließ. Circes Warnung schwingt für mich bis zum Ende der Geschichte mit:

„Manche Türen, die geöffnet werden, können nie wieder geschlossen werden.“ (S. 160)

Atalanta als einziges weibliches Mitglied der Argonauten punktet mit großer innerer Stärke und eindrücklicher Warnung an Medea. Und Jason –  ein charismatischer Held? (Für mich wird er von nun an ein manipulativer Mistkerl bleiben, sorry…).  Da hat sich mein Blick wie auch auf die Argonauten-Truppe durch diese Geschichte deutlich geändert.

Die Macht der dunklen Magie

Beeindruckend ist, aus Medeas Sicht die Wirkung der dunklen Magie zu erleben. Wie diese seelische und körperliche Kraft fordert, wie ein wirbelnder, berauschender Strom mit schier grenzenlosen Kräften das Innere mitreißt.

Mir gefällt, dass Medea in diesem Roman mehr als nur die Hexe aus der Mythologie wird, denn man erlebt aus ihrer Perspektive, warum sie so handelt, wie sie es tut, ohne  dass sie dabei von ihrer Schuld freigesprochen oder rehabilitiert wird. Der Autorin gelingt es zu vermitteln, wie komplex Medea als Charakter ist. Der weibliche Blickwinkel richtet den Fokus auf Medeas Verhältnis zu den Männern in ihren Leben: von der missbräuchlichen Benutzung ihrer Fähigkeiten durch den Vater und den Bruder zu den psychischen Manipulationen, unter denen sie bei Jason leidet. Man hinterfragt, wie sie durch die Umstände geformt wurde, wer Geist und Persönlichkeit beeinflusst

Wie Dunkelheit, Zorn und Leid im Kern von Medeas Geschichte liegt, macht einen tiefen Eindruck. Doch es fehlen auch nicht Möglichkeiten für Medea, sich für Licht und Frieden zu entscheiden. Warnungen gibt es genug. 

Dramatik, Leidenschaft und Feuer

Rosie Hewlett hat Klassische Literatur und Zivilisation studiert, was deutlich an ihrem Werk zu merken ist. Daneben liefert sie eine Menge an Dramatik, Leidenschaft und Feuer, genug um einen zu fesseln und zu verzaubern. Der Roman ist extrem spannend, detailreich und mit rasantem Schwung geschrieben. Die dramatischen Wendungen, die großartige und sehr authentische Entwicklung der Charaktere und die emotionale Nähe zur Protagonistin ließen mich das Buch kaum aus der Hand legen.  

Deshalb fände  ich es toll, wenn Hewletts Debütroman über Medusa auch ins Deutsche übersetzt wird.

Ich bedanke mich beim Verlag HarperCollins, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.
Auf meine Meinung und Rezension des Buches hat dies keinen Einfluss.

Rosie Hewlett:
Medea.
Die Hexe von Kolchis
übersetzt v.: Simone Jacob
Verlag HarperCollins, November 2025
496 Seiten

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