(Werbung: Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexamplar zur Verfügung. Meine eigene Meinung zum besprochenen Buch behalte ich mir vor.)
Die erste Bücher-Neuerscheinung, die ich Euch im April vorstelle, hat mich noch lange nach dem Lesen bewegt. Jeden Freitag ganz besonders… Das Thema wirkt lange nach, die Art des Erzählens weckt den Wunsch, das Buch ein zweites Mal zur Hand zu nehmen.
John Ironmonger: “Der Wal und das Ende der Welt”
„Die Welt ist ein gestrandeter Wal?“
„Ja. Das glaube ich tatsächlich.“
„Aber der Wal ist nicht gestorben…“
„Aber nur, weil wir da waren um ihn zu retten.“ (S. 306)
Joe Haak wird an einem Spätsommerabend nackt an den Strand des verschlafenen Dörfchens St. Piran in Cornwall geschwemmt. Rasch tun sich zufällige Beobachter – ein Strandgutsammler, eine Krankenschwester, ein Fischer, ein Schriftsteller und eine junge Frau, die ihren Hund ausführt, – zusammen, um den völlig unterkühlten fremden jungen Mann zu retten.
Der Finnwal, der kurz darauf in der Bucht zu sehen war, strandet am Folgetag. Es ist gerade dieser, dem Ertrinkungstod entkommene Joe Haak, der den Wal durch sein engagiertes Eingreifen rettet. Ihm gelingt es, als niemand weiß, was zu tun sei, die Schaulustigen aus dem kleinen 300-Seelen-Dorf zu einer gemeinsamen Rettungsaktion zu motivieren.
Dieses kleine Wunder verknüpft die Schicksale von Joe und dem Wal. Gleichzeitig schließen die Dorfbewohner Joe in ihr Herz. Was für eine einzigartige und eigentümliche Gemeinschaft empfängt den Fremden: so beispielsweise die Krankenschwester aus Senegal mit der schönen Singstimme, der knickerige pensionierte Arzt, der Joe gleich ein Heim anbietet, die einfühlsame Lehrerin der Zwergschule, der unnachgiebige Pfarrer und seine flatterhafte junge Frau.
Niemand aus dem Dorf weiß, dass Joe Haak bislang ein gänzlich anderes Leben in der City von London gewöhnt gewesen ist. Er arbeitete als Analyst bei einer Investment-Bank. Als Fachmann, der das Geschehen an der Börse und auf den Finanzmärkten beobachtete und analysierte, hat er sehr gut verdient. Details seines früheren Lebens werden in kurzen Rückblicken erzählt. Im Rahmen seines Job hat er nach mehrjähriger Forschung das spezielle Computer Programm ‘Cassie’ entwickelt, das das Auf und Ab der Finanzmärkte sehr zuverlässig vorhersagen kann und seiner Firma große Gewinne ermöglicht. Doch dann macht ‘Cassie’ einen Fehler und Joe flieht vor den drohenden Folgen.
Nachdem Joe die Prognosen erweitert hat, prognostiziert ‘Cassie’ einen bevorstehenden globalen Kollaps, der sich nicht nur auf die Finanzmärkte, sondern auf die ganze Zivilisation auswirken kann. Nun befindet sich Joe nicht mehr auf einer Flucht, sondern auf einer Mission.
Das abgelegene Dorf, in dem Joe nun „gestrandet“ ist, pflegt einen ganz anderen Rhythmus als Joe ihn kennt und hat auch kein großes Interesse am Weltgeschehen. Mittlerweile ist Joe Haak einer von ihnen und hat jetzt nur noch ein Ziel: die Einwohner von St. Piran vor der kommenden Katastrophe zu bewahren.
Doch – ist die prognostizierte Gefahr wirklich real? Kann Joe das Dorf davon überzeugen, sich zu bevorraten und vollkommen von der Außenwelt abzukoppeln? Und was passiert mit dem Wal, der immer wieder in der Nähe der Bucht gesichtet wird?
„[…] Uns läuft die Zeit davon. Die Welt wird immer komplexer alles hängt immer noch stärker mit allem anderen zusammen. Es fühlt sich immer noch so an, als würden wir die Palmen auf der Osterinsel absägen und uns erst dann Gedanken darüber machen, wenn die letzte krachend umgefallen ist.“ (S. 141)
Fazit
Der Roman von John Ironmonger liegt etwas abseits der üblichen Dystopien oder postapokalyptischen Geschichten. Er hat seinen ganz eigenen speziellen Charakter.
Zum einen greift Ironmonger schon auf dem wunderschönen Cover zum biblischen Bild von Jonas und dem Walfisch. Zum anderen verleiht er seinem Buch durch den ganz direkten Bezug auf Thomas Hobbes‘ Leviathan eine philosophische Tiefe.
Sehr liebevoll entwirft er die ganz eigenen Charaktere, die das kleine Dorf bevölkern. Im Kontrast dazu führt der Autor seiner Leserschaft vor Augen, wie weit es die Menschen mit ihrer rücksichtslosen Lebensweise und der Natur zerstörenden Wirtschaft gebracht haben. Die Wahrscheinlichkeit einer globalen Katastrophe in der nahen Zukunft ist in unserer Realität von vornherein nicht gering, auch wenn wir das gern übersehen möchten. Das Szenario, das entworfen wird, ist sehr lebensnah.
Der Autor hat seine Geschichte sehr klug konstruiert. Er konzentriert sich auf die Auswirkungen, die das große System der Gesellschaft auf das ganz kleine System hat. Doch anstatt auf Panikstimmung vertieft er den Blick auf die menschliche Natur.
Der Schwerpunkt der Geschichte liegt auf dem Faktor, den das Computerprogramm ‘Cassie’ eben nicht berechnen kann. Für ‘Cassie’ bleiben das humanitäre Verhalten, das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Verbundenheit von menschlichen Gemeinschaften, wie auch der mitmenschliche Einsatz Einzelner nicht vorhersehbar. So wird mit Joe Haak und den Dorfbewohnern von St. Piran gezeigt, wie eine kleine Gemeinschaft auf eine globale Katastrophe mit Widerstandsfähigkeit, Miteinander und Menschlichkeit reagieren kann.
Beim Lesen kommt man ins Nachdenken über die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Die poetische Erzählweise nimmt die Schwere von diesem Thema und greift es ganz neu.
Mir hat besonders gefallen, wie dargestellt wird, dass ein einzelnes Ereignis das Weltgeschehen in dramatische Krisen stürzen kann – aber dass das humanitäre und politische Engagement einzelner Menschen andere Menschen beeinflussen, überzeugen, aktivieren und die Entwicklung in andere Bahnen lenken kann.
Es ist ein Buch, das die Hoffnung in die Menschheit stärken möchte.
Absolute Leseempfehlung!
John Ironmonger:
Der Wal und das Ende der Welt. (Originaltitel: Not forgetting the Whale)
übersetzt von Tobias Schnettler u. Maria Poets
S. Fischer Verlag
480 Seiten
Guten Morgen Andrea,
ich hatte dich schon vermisst.
Als ich den Titel gelesen hatte, dachte ich tatsächlich sofort anJonas und den Walfisch.
Ich denke, dass das wieder ein Buch ist, das ich auch vorschlagen kann im Jour fixe.
Deine Rezension liest sich sehr gut und macht Lust auf mehr
Hab eine gute Woche.
Lieben Gruß Eva
Liebe Andrea,
das sit sicher ein sehr lesenswerter Roman, wie Du das beschreibst hier! Herzlichen Dank für die tolle Vorstellung!
Ich wünsche Dir einen schönen und freundlichen Tag!
♥ Allerliebste Grüße, Claudia ♥
Das ist jetzt schon die zweite oder dritte sehr positive Vorstellung des Buches (welches ich allein wg des Covers wunderbar finde!). Auf meiner Liste ist es auch schon. Und Du hast mit Deiner wunderbaren Rezension meine Leselust nur noch bestärkt.
Liebe Grüsse,
Nina
Guten Morgen Andrea,
jetzt weiss ich nicht, hatte gleich einen Kommentar geschrieben, ganz früh, ist der nicht durchgegangen?
Also nochmals, wenn dann lösche einfach einen davon.
Als ich das heute morgen gelesen habe, schon alleine von der Überschrift her, dachte ich schon an Jonas und er Walfisch und ich wurde nicht enttäuscht. Eine feine Rezension hast du hier verfasst, die mich auch veranlasst, das Buch beim Jour fixe vorzustellen.
Hab einen schönen Tag und eine gute Woche,
Liebe Grüße Eva
Die Menschheit stärken – ein Wunsch, der auch in mir lebt. Aber der Weg über die Vernunft scheint da wenig geeignet.-
Ich mag auch den Einband des Buches. Wenn ich denn nur Zeit zum Lesen außer dem, was ich mir für meine Posts auferlege, hätte! Das nimmt inzwischen meine gesamte Lesezeit ein…
LG
Astrid
Das hört sich extrem interessant an. Wieder ein Titel für meine Leseliste.
LG
Magdalena
Da weiss ich auch gleich wem ich das Buch schenken kann und sicher eine Freude machen werde.
Deine Zusammenfassung liest sich sehr einfühlsam und reg zum Nachdenken an.
L G Pia
Sehr interessantes Buch, nachdem, was Du schreibst denke ich, ist das was für mich. Danke für die sehr schöne Rezension.
Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende.
Viele liebe Grüße
Wolfgang