Regional See Unterwegs

Stein am Rhein {Regional}

12. Juli 2016

Am Morgen stößt man mit frischen, wachen Augen auf manche Dinge, die kleine Geschichten erzählen, die Blicke neu lenken, die Anstöße und Anregungen bescheren.
Wir beginnen die Reihe mit Stein am Rhein in der Schweiz um 8.20 Uhr. Grüezi!

Das Untertor, erstmals 1367 erwähnt – ein geschichtsträchtiges Tor, durch das wir Stein am Rhein betreten.
Am 22. Februar 1945 warf ein amerikanischer Bomber zwölf 250 kg schwere Bomben irrtümlich auf das Schweizer Städtchen, ganz nahe an der Grenze zu Deutschland. Vier Frauen und fünf Kinder starben, 33 Verletzte mussten versorgt werden, sechs Häuser und das Untertor wurden zerstört, viele weitere Gebäude beschädigt.  Es war 12.35 Uhr, als die historische Uhr des Untertors für immer stehen blieb. Das Tor musste abgerissen und später nachgebaut werden,  (Das war nicht der einzige Bombenabwurf  der Alliierten auf die neutrale Schweiz.)

Hinter dem Tor  warten eine Mieze und eine prachtvolle Altstadt.

Das mittelalterliche Klosterspital aus dem 14. Jahrhundert, das später in städtische Hand kam, diente als Armen- und Waisenhaus, Pilgerhospiz, Bürgerasyl und Bettlerstation.
Noch 1893 wurde es als Armen- und Krankenanstalt geführt und erst 1963 geschlossen. Heute befinden sich hier im restaurierten Gebäude Sitzungs- und Veranstaltungsräume.

Im ältesten original erhaltenen Steiner Haus aus dem Jahr 1302 findet ein Krippenmuseum seine Ausstellungsfläche. Fast 600 Krippen aus aller Welt kann man hier ganzjährig bewundern.

Wo eine Krippe steht, ist ja oft auch ein Schwibbogen nicht weit. Auch in diesem Fall steht er gleich gegenüber, er wurde sogar im Jahre 1521 errichtet. Allerdings sieht er anders aus als ein Erzgebirgischer Schwibbogen. Der Schwib- oder Schwebebogen (in diesem Fall ein dreiteiliges spätgotisches Netzgewölbe) dient dem Übertragen von horizontalen und vertikalen Schüben. Hier geht es um die Abstützung gegenüberliegender Mauern, um die Verteilung des Schubs des darüber liegenden Baus auf die seitlichen Häuser.
In Stein am Rhein führt also der direkte Weg zur Weihnachtskrippe unter dem Schwibbogen her…

Bauhistorisch hat Stein am Rhein viel Interessantes zu bieten.
Neben dem wunderbaren Fachwerk fällt vor allem die reichhaltige Fassadenmalerei ins Auge. Gerade wegen ihr wälzen sich vor allem im Sommer Touristenmassen durch das Städtchen.

Die Malereien stammen aus verschiedenen Epochen. In der Renaissance ließen reiche Hausbesitzer ihre Fassaden mit Kalktechnik bemalen. Nach einer Phase des wirtschaftlichen Niedergangs gab es dann aber gerade um die Wende des 19. und 20. Jahrhundert wieder einen Schub. Historienmalerei war in Mode gekommen. Bestehende Malereien wurden aufgefrischt, neue entstanden, gerne mit biblisch-christlichen und schweizergeschichtlichen Motiven oder mit Bezug zum Namen des Hauses.

Mir sprang an der Fassade des Hotels Adler gleich ein Name ins Auge: Alois Carigiet kannte ich doch von den Schweizer Kinderbüchern unserer Töchter (ich sage nur “Schellenursli”! Wir haben sie alle, die herrlichen Bilderbücher…) . Konnte es wirklich dieser A. Carigiet sein? Tatsächlich!

Die jüngste Fassadenmalerei vom “Schönen und Guten im Leben” aus dem Jahr 1956 stammt wirklich von dem Maler und Kinderbuchillustrator. Dafür wurden alte Wappen vom Anfang des 20. Jahrhunderts entfernt.
Derzeit steht eine große Bühne auf dem Rathausplatz, die einige Hausfronten verdeckt.

Denn auf dem Rathausplatz, mitten in der Altstadt, wird derzeit das große Freilichtspiel “No E Wili” aufgeführt, das eine spannende Legende um Verrat und Tapferkeit aus dem mittelalterlichen Stein am Rhein aufgreift. Seit 1922 wird das Stück in unregelmäßigen Abständen (nun zum achten Mal) aufgeführt. 250 Laiendarsteller sind mit von der Partie.  Wollt Ihr hier mal hineinspickeln in “No E Wili” (=noch eine Weile Geduld)? Gesprochen wird natürlich hauptsächlich in Mundart.
Wie ihr auf dem Plakat seht, spielen natürlich auch tierische Laiendarsteller mit.
In Stein am Rhein versteht man sich darauf, auch aktuelle, historische Ereignisse vielfältig aufzugreifen. Es muss ja nicht immer als Malerei oder Bühnenstück sein. Wie wäre es in kulinarischer Form? Anlässlich des Bodensee- und Rheinhochwassers werden hier süße Sandsäcke in der empfehlenswerten Bäckerei unweit des Ufers gebacken.

 

 

Die Bürger des Stadt lieben es, die Zeit im, am oder auf dem Wasser zu verbringen. Für ein schmales Boot findet sich auch in engen Gassen allemal noch ein Plätzchen.

Im 16. und 17. Jahrhundert war Stein am Rhein recht wohlhabend. Am Ausfluss des Rheins aus dem Bodensee gelegen, galt die Stadt als Anlandeplatz auf der Reise zwischen West und Ost. Zudem bot sie die Brückenüberquerung auf dem Weg zwischen Süden und Norden. Geografisch günstig gelegen und mit dem Marktrecht ausgestattet, kamen Einnahmen aus Brückenzoll, Handel und Stapelrecht in die Häuser der Stadt.
Doch die Zeit der Goldtöpfe war irgendwann vorbei.
Zumindest für ein paar Jahrhunderte.

Die Stadt Stein am Rhein ruht heute auf auf einem sicheren finanziellen Polster, was die kulturellen Belange anbetrifft, denn sie wurde 1988 von der Stiftung Windler bedacht, dem Erbe einer wohlhabenden Steiner Familie. Dieser vermachte der Gemeinde ein Prozent der Aktien von Novartis und somit ein ca. 700 Mio. CHF schweres Vermögen.
Die Gelder sind zum Wohl der Stadt und seiner Bürger, z.B. zur Erhaltung und Verschönerung des Stadtbildes, für kulturelle und gemeinnützige Einrichtung u.ä. bestimmt.
Der Stiftung gehört z.B. auch das besagte Museum Lindwurm, das Haus, in dem einst Robert Gnehm (1852 – 1926) geboren wurde, einem Professor der Chemie an der ETH Zürich, der in führender Position bei der Ciba und Sandoz tätig war, und die Basis des Vermögens schuf.

Mir gefielen die vielen liebevollen grünen Inseln im Gassengewirr. Es müssen ja nicht unbedingt immer  und über all Goldtöpfe sein, alte Dosen tun es auch.

 

Wir befinden uns zwar im Kanton Schaffhausen, aber das Appenzell ist nicht weit und so passen doch auch die Appenzeller Spitzhaubenhühner gut ins Bild. Ihr Kopfschmuck erinnert an Haube der Appenzeller Sonntagstracht.

Früher fand man im Ort noch landwirtschaftlich genutzte Gebäude, hier auf der Rückseite des schon erwähnten Museums Lindwurm wird ein solches Hinterhaus noch sehr gepflegt, innen wie außen.

Das nahe Ufer lädt zur Rast ein. Mit oder auch ohne Hund. Wer Lust hat, kann aufs Schiff steigen und Touren entlang des Rheins oder Richtung Konstanz unternehmen. (Potzblitz! Der Hund auf dem Schild scheint kupiert zu sein, wo doch in der Schweiz seit Jahren ein Kupierverbot besteht. Oder ist es ein ausländischer Hund, der hier an die Leine muss?)

Am himmelblauen Steiner Sommerhimmel treiben die Wasserspeier des Kirchturms ihre Faxen.
Es ist Mittag, die Gassen der Stadt füllen sich. Zeit für uns zu gehen.
Wir kommen wieder, es gibt bestimmt noch viel zu entdecken.

  • jahreszeitenbriefe 12. Juli 2016 at 5:28

    Das war jetzt ein wunderbarer Morgen(bilder)spaziergang durch dieses charmante malerische mir unbekannte Städtchen… Die Hühner sehen tatsächlich aus wie verkleidete Sonntagskirchgängerinnen ;-). Das mit der Stiftung ist ja toll, gut angelegt. Liebe Grüße Ghislana

  • Nicole/Frau Frieda 12. Juli 2016 at 5:40

    Was für ein herrlicher Spaziergang am frühen Morgen, liebe Andrea! Die buntbepflanzten Dosen finde ich einfach nur schön ;)) aber auch die bemalten Hausfronten, und… ich könnte schreiben und schreiben ;)) Ganz liebe Grüße und einen feinen Tag, Nicole

  • Astrid Ka 12. Juli 2016 at 7:09

    Die Schweizer Städtchen kommen mir immer so heimelig, so solide vor, zeigen sie ja auch die eigene Geschichte mit Stolz. Ganz anders als in der benachbarten badischen Provinz, da ist immer alles so zufällig, zusammengewürfelt. Nicht schwer zu erraten, was mir besser gefällt…
    Stein hat mir auch in realitas sehr gefallen, ebenso dein Fotoausflug.
    LG
    Astrid

  • Birgitt 12. Juli 2016 at 11:24

    …so ein schöner Ort, liebe Andrea,
    da bin ich jetzt gerne dir hinterher gebummelt…und habe so viel Schönes gesehen…danke für diesen Morgenspaziergang und ich mache gerne noch viele mit dir,

    liebe grüße
    Birgitt

  • siebenVORsieben 12. Juli 2016 at 11:56

    Das ist wirklich ein prachtvolles Städtchen. Was es da alles zu bestaunen gibt.
    Süße Sandsäcke… wenn das mal nicht Galgenhumor ist.
    Liebe Grüße
    Jutta

  • Himmel Blau 12. Juli 2016 at 13:02

    Hach…ein wirklich feiner Ort, den ich im Rahmen meines Bodenseeurlaubs auch besucht habe…Es lohnt sich sehr. Danke für diese schönen Erinnerungsfotos! LG Lotta.

  • Schwarzwaldmaidli 12. Juli 2016 at 19:31

    Was für ein schöner Ort am Bodensee. Vielen Dank fürs mitnehmen. 🙂
    Die Fassadenmalerei schaue ich mir auch immer gerne an.
    Liebe Grüße
    Anette

  • verfuchstundzugenäht 13. Juli 2016 at 19:21

    Ja also diese Ecke fehlt auch ganz eindeutig in meinen unbescheidenen Urlaubswünschen 🙂

  • Alizeti 16. Juli 2016 at 16:12

    Wundervolle Bilder von einem wundervollen Ort. <3 Diese Altstadt (Herzchen in den Augen hab!)
    Liebe Grüsse Alizeti

  • mano 17. Juli 2016 at 4:51

    liebe andrea, was für eine freude, deine bilder dieser wunderschönen stadt zu betrachten – war ich doch gestern grad in einer vielleicht ebensogroßen im ehemaligen grenzgebiet unterwegs, die leider genau das gegenteil ausstrahlte. schade, ich würde ihr auch so eine erbschaft gönnen!!
    solche hübsche hühner hätte ich auch gern hier im garten und blechdosen mag ich lieber als goldtöpfe…
    liebe grüße, mano

  • Fragmentage 21. Juli 2016 at 15:51

    Oh das sind wirklich tolle Bilder! In Stein am Rhein war ich noch nie, habe aber schon viel davon gehört. Ich mag alte Städtchen mit all den kleine Details an den Häusern und dem aufwändig gepflegten Fachwerk 🙂

    Viele Grüße,
    Hadassa